Das Zeichnen ist meine Verortung in der Zeit. 

Ein leeres Papier, einige Bleistifte unterschiedlicher Stärken und zwei, drei Buntstifte. Ich schraffiere. Strich neben Strich. Eine Fläche entsteht. Sie erinnert mich an Wolken, an Steine, Wasser und etwas das gewachsen ist. Sie breitet sich aus, sie mäandert über das Blatt und wie von selbst erscheint ein Bild.     

Begonnen hat das Zeichnen mit kleinen Fundstücken aus der Natur, die ich vom täglichen Weg ins Atelier mitbrachte. Mein Wunsch war es, ohne Ziel zu arbeiten. Ich wollte mich von dem mir starr und eng erscheinenden Wollen, der ehrgeizigen Berechnung lösen, um mit mehr innerem Raum neue künstlerische Möglichkeiten zu erleben. Ich wollte verstehen, was mich treibt, wenn mich kein äußerer Druck voran schiebt. Die erste spürbare Veränderung war eine vielfach genauere Wahrnehmung meiner Umgebung. Ich zeichnete Blüten, Steine, Zweige, Samenkapseln und erkannte wunderbare Strukturen, Muster und Oberflächen. Während des Zeichenprozesses verschwanden die Dinge. Bei mir blieben ihre Zeit, ihr Rhythmus und ihre gewachsene Schönheit. 

Nach einigen Wochen entstanden größere Zeichnungen. Sie erzählen von der leisen Hälfte der Welt. Vom Vergehen der Zeit nach Licht und Dunkel, vom Blühen und Verblühen und finden ihren Sinn in sich selbst. Ich zeichne: Strich an Strich entsteht ein Mikrokosmos. Einzigartig und unnachahmbar. Da wächst aus Strichen ein Abbild von Welt, spannt sich auf und beginnt zu atmen. Setze ich Striche, begegne ich mir und dem Leben auf immer neue Weise. Ich befülle die Leere des Papiers mit Inhalten aus jetzigen und vergangenen Tagen. 

Aus der Schale schlüpft Natur, durch mich gefiltert, mit dem Bleistift übersetzt. Reduziere ich die äußeren Reize, nimmt fast zeitgleich das Empfinden für innere Vorgänge zu. Die inneren Vorgänge meinen auch das eigene Wahrnehmen von Raum und Zeit. Ein jeder Mensch hat seine Zeit. Und jede Zeit hat ihren Ort. So auch ich. Durch meine Zeichnungen mache ich mich erkennbarer.

Zeichnen ist meine Form der Suche, des Forschens, Entdeckens und des Findens. Begreife ich das Zeichnen als eine Abfolge immerähnlicher Bewegungen und Gesten, interessiert mich daran, was diese hinterlassen. Einfachen Naturprinzipien folgend, dem Wachstum und der Differenzierung, entstehen Formen durch kontemplative Prozesse. Gelingt es mir Zielstrebigkeit und Berechnung abzulegen und mich nicht von Zukünftigem beeinflussen zu lassen, ist das Schwierigste überwunden: ich bin angekommen. Die Zeichnung funktioniert dann als Filter, Schutz und als eine Übersetzung der Umstände von der Zeit und dem Ort ihres Werdens. Was so entsteht ist ein Erfahrungsraum für Kunst und Leben.