Für Astrid


„Man darf nie an die ganze Straße denken, verstehst Du?
Man muss nur an den nächsten Schritt denken, an den nächsten Atemzug,
an den nächsten Besenstrich. Und immer wieder nur an den nächsten.“
[…]“Dann macht’s Freude; das ist wichtig, dann macht man seine Sache gut.
Und so soll es sein.“ *


Ein weiser Weg – eine Bewegung – ein Wegweiser
Schritt… Atemzug… Strich… Schritt… Atemzug… Strich …
Beppo Straßenkehrer hat seine Pflicht, seine Verpflichtung, seine Zeit. Er weiß um das
Außer-Atem-Kommen angesichts eines entfernten Ziels; zu weit um es spielend zu erreichen.
Nur die schrittweise Bewegung zählt. Der gleichmäßige Takt der Bewegungen bringt den
Horizont näher. Er kommt wie von selbst. Er kann nicht anders. Vor dem Horizont tut sich
der Raum auf, der zu durchmessen ist – ein Abglanz des Wegs durchs Unendliche, dort, wo
sich die Parallelen schneiden…


Schlechter- und allerdings zuerst der Boden, den die Elfen nur brauchen um ihn zu streifen,
wir hingegen, um darauf zu ruhen…*


Einen Weg markieren heißt, ihn bestimmen, Anfang und Ende zu bezeichnen. Der Weg erhält seine
Bewegung aus der Selbstvergessenheit, bewegt im Dazwischen. Sinngebilde eines sich wandelnden
Vorgangs im Raum, in der Zeit, in der Vorstellung, in der Darstellung, in der Aufhebung, im Beharren
und Verharren, im Innehalten; kein Ziel, kein Ergebnis. Nur ein Vorgang: Eintauchen… Abtauchen…
Auftauchen… Bewegung… Eintauchen… Abtauchen… Auftauchen… Bewegung…
Wegstrecke, Wegfläche, Begrenzung und Abstand. Ein durchmessener Raum des Einhaltens und des
Aushaltens, des Anhaltens, der Reinigung und der Läuterung. Strich an Strich in der Aneignung des
Raums, kommt die Kunst dort ins Spiel, wo Sinn im Sinn bleibt, sich ohne Absicht, ohne etwas zu
suchen, ohne etwas zu wollen verselbstständigt, sich loslöst; das Tun als etwas Gewesenes hinter sich
lassend, im Zustand der Gnade die innige Gewissheit bergend, dass unser Dasein nicht ein Getümmel
gegensätzlicher Momente, sondern – obwohl unerklärbar – eins ist.


Mechthild Lobisch


* in: Michael Ende, Momo
Beppo Straßenkehrer erklärt Momo seine Philosophie.
* in: Heinrich von Kleist, Über das Marionettentheater